Vernon Dure Die blaue KatzeLeoLeo putzte sich ausgiebig: Sein Frauchen – sein persönlicher »Kühlschrank- und Dosenöffner«, wie er sie insgeheim nannte – hatte mal wieder seinen Geschmack genau getroffen. Noch am späten Vormittag hatte es so gar nicht nach einem guten Tag ausgesehen: Frauchen schimpfte ständig und schob Leo immer nur zur Seite, wenn er laut miauend seine Kuschelstunden auf ihrem Schoß einforderte. Am Ende hatte er sie sogar am Ärmel gezupft, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Pech: Es klingelte – und Frauchen beachtete ihn wieder nicht. Leo hoffte zunächst, das Paket mit seinem Lieblingsfutter sei gekommen. Doch Frauchen hatte nur eine blauen Dose und eine geöffnete Schachtel in den Händen. Das konnte ja nichts Tolles für ihn sein: Die Dose war viel zu klein! Frauchen setzte sich auf das Ecksofa und öffnete behutsam die blaue Dose. Dabei summte sie leise eine Melodie. Leo hingegen brummelte unzufrieden vor sich hin: Wenn Frauchen sich so verhielt, verlief der Tag immer ganz anders als ein »normaler« Tag. Er zog sich vorsorglich unter das Sofa zurück und lugte nur hinter einem Fuß hervor, wo er sie gut im Blick hatte. Nicht, dass er »besondere« Tage in schlechter Erinnerung gehabt hätte. Aber die damit einhergehende Ungewissheit ließ ihn bereits wieder ganz kribbelig werden. Weil ihn das entspannte, begann er, sich zu putzen. Die beruhigende Wirkung stellte sich umgehend ein: Frauchen füllte seinen Napf mit wunderbar duftendem Futter. Leo schleckte eifrig. »Den brauche ich ja gar nicht mehr zu spülen«, lachte Frauchen, als er schnurrend um ihre Beine strich. ![]() Satt und müde blinzelte Leo hin und wieder zu der blauen Dose hinüber, die noch immer auf dem Tisch lag. Schließlich stand Frauchen auf und verließ den Raum. Darauf hatte Leo nur gewartet: Vor Neugier hielt er es nicht mehr aus. Er sprang auf das Sofa, von dort auf den Tisch und schlich vorsichtig um die Dose herum: Kein interessanter Geruch, nur ein Anflug von Farbe und Metall. Beknabbern ging auch nicht, denn sie rollte davon, wenn er seine Zähne an ihr ausprobieren wollte. Zum Spielen taugte sie auch nicht: Das langweilige Ding machte nicht einmal spannende Geräusche. Offensichtlich hatte Frauchen das Interesse genauso schnell verloren, denn sie hatte die Dose einfach liegen lassen. Leos linke Vorderpfote – die immer so eigenwillige Sachen machte, wenn er etwas nicht mochte – schüttelte sich und gab der blauen Dose einen Schubs, während er vom Tisch auf das Sofa und von dort mit einem Satz in seinen Korb sprang, ohne dem langweiligen Ding noch einen Gedanken zu widmen. |
Doch plötzlich hörte er ein leises Geräusch vom Tisch: Die Dose rollte langsam auf die Tischkante zu. »Au weia«, dachte Leo, »das geht nicht gut.« Wenn Frauchen sich umdrehte und die Dose auf dem Boden lag, gäbe es garantiert Ärger. Kurzentschlossen sprang er auf den Tisch, doch zu spät: Die Dose fiel vor seinen Augen in die Tiefe. Trudelnd prallte sie mit hässlichem »Plonk, plonk, plonk« auf den Boden, rollte ein paarmal hin und her und lag still. »Miau« klagte Leo: Die blaue Dose hatte nun eine deutliche Delle. Frauchen würde wissen, dass er der Übeltäter war. Merkwürdigerweise wusste sie immer Bescheid, wenn er etwas angestellt hatte. Sogar, wenn sie gar nicht dabei war! Mit dem zu erwartenden Donnerwetter war der Tag wohl gelaufen. Frauchen drehte sich in der Tür prompt bei dem Geräusch um. Sie kam zurück, bückte sich, hob die Dose auf, schüttelte sie leicht und zog ein ärgerliches Gesicht, als sie drinnen ein Klirren hörte. Leo machte sich klein und tat unbeteiligt. Schließlich ging ihn diese Dose gar nichts an. Frauchen öffnete die blaue Dose, schüttelte einen Gegenstand heraus und spähte in das Innere der Dose. Dann zupfte sie mit dem kleinen Finger einen Zettel heraus, entfaltete ihn und strich ihn auf dem Tisch glatt. Dabei knisterte das Papier vernehmlich unter ihren Händen. Nachdem sie den anderen Gegenstand mehrfach in ihren Händen hin und her gewendet hatte, murmelte sie erfreut, »Glück gehabt«. Sie setzte die neue Lesebrille probeweise auf und wandte sich wieder der Tür zu, ohne Leo eines Blickes zu würdigen. Rasch hüpfte Leo auf den Tisch und inspizierte den entfalteten Zettel. Eine blaue Katze schaute ihn mit großen Augen durch eine Brille mit runden, blinkenden Gläsern aus dem Papier heraus an. Leo umkreiste das zerknitterte Stückchen blassen Tranparentpapiers. Die Katzenaugen schienen seinen Bewegungen zu folgen. Leo schüttelte sich: »Blaue Papierkatzen können niemanden mit ihrem Brillenblick verfolgen!« Das wusste er von den bunten Papierstücken, die Frauchen sich immer vor die Augen hielt und ihm daraus erzählte, was in der Menschenwelt so vor sich ging. Leo mochte das Papier, weil es sich geräuschvoll zerfetzen und durch die Luft wirbeln ließ. Aber noch nie hatte ihn eines der Bilder mit den Augen verfolgt. Gelangweilt wandte sich Leo ab, wollte elegant zum Sofa hinunter springen. Da hatte er das kribbelnde Gefühl, beobachtet zu werden. Mit bebenden Schnurrhaaren wandte er sich um und zuckte zusammen: Frauchen stand in der Tür und sah genauso aus, wie die blaue Brillenkatze auf dem Papier! Abwehrend schüttelte er seine Vorderpfote, der Zettel geriet in Bewegung und segelte unter das Sofa. Frauchen hatte das Malheur wohl nicht bemerkt, denn sie verschwand mit ihrem Brillenkatzengesicht im Nebenzimmer. Leo sprang dem Zettel hinterher und schnüffelte daran. Es knisterte unter seiner Nase. Wieder schien es, als verfolge die Brillenkatze seine Bewegungen. »Lass das, du Flohsack«, murmelte jemand mit leicht verärgertem Unterton, aber nicht unfreundlich. Leo spähte umher, wer denn da ihm gegenüber so eine dicke Lippe riskierte. Doch da war niemand. Verwundert beäugte er wieder den knisternden Zettel: Die Brillenkatze blickte ihn durchdringend aus dem Papier an, rührte sich aber nicht. Leo umrundete den Zettel erneut, ließ dabei die blaue Brillenkatze keine Sekunde aus den Augen. Doch außer, dass sie ihn immerzu anschaute, geschah nichts. »Die blaue Katze« wird fortgesetzt und zu gegebener Zeit als Taschenbuch/E-Book veröffentlicht. © 2020 Dipl.-Ing. Kurt-Rainer Daubach Publishing |
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