Vernon Dure RB84 – ZeitensprungGreta betrachtete beim Einsteigen neugierig den jungen Mann, der schlaff in den Armen zweier Bahnpolizisten hing. »Mal wieder auf Drogen«, murmelte der ihr am nächsten stehende Beamte und zerrte den apathischen Jüngling Richtung Tür an ihr vorbei. Greta musterte den ›Junkie‹: Dem Körper fehlte jeglicher Muskeltonus. Die struppigen Haare benötigten dringend einen Friseur. Trotz der verknitterten Lederjacke und abgewetzter Jeans wirkte er nicht ungepflegt. Er mochte um die 30 Jahre alt sein. Unter halbgeschlossenen Lidern starrte er ins Leere, ohne zu blinzeln. »Wie Fenster in eine andere Welt«, schoss es ihr durch den Kopf. Sie trat einen Schritt beiseite, damit die drei den Zug verlassen konnten. Im Vorbeigehen erhaschte sie einen Hauch von ›Bleu de Chanel‹, der den jungen Mann umschwebte. Mühsam hievten die Beamten ihre Last auf den Bahnsteig, die Türen schlossen sich mit lautem Zischen. Erstmals zeigte der junge Mann eine Regung: Er hob den Kopf, blickte Greta durch die zerkratzten Scheiben der Tür direkt an. Der Anflug eines Lächelns huschte über sein schweißgebadetes Gesicht. Der Zug ruckte an, die Gruppe glitt aus Gretas Gesichtsfeld. »Nein! Keine Fenster in eine andere Welt. In eine andere Zeit, die Unglück bringt!« Die Stimme in Gretas Kopf war nicht die ihre. Sie schwankte unter der Wucht starker Emotionen, die in den Worten mitschwangen. Ihre Knie zitterten. Hastig suchte sie Halt an einem der kalten Edelstahlgriffe und schloss die Augen. |
Der Zug rumpelte mit kreischenden Rädern über eine Weiche. Kurz darauf wurde das gleichmäßige Rattern dumpfer, bekam ein Echo: Sie passierten die Weserbrücke bei Corvey. Greta suchte mit noch immer weichen Knien einen Platz in einer freien Sitzgruppe auf der rechten Gangseite. In der Sitzgruppe auf der anderen Seite räkelten sich einige Jugendliche, deren Handys eine schmerzhafte Kakophonie sich überlagernder Videoclips produzierten. Greta wünschte sich augenblicklich zurück in die Ruhe ihrer kleinen Dachwohnung am Bielenberg. Sie griff nach dem störenden Gegenstand unter ihrem Po und zog ein abgegriffenes Notizbuch mit Gummibandverschluss hervor. Eine Plastikhülle mit einem Monatsticket lugte zwischen den Seiten hervor. »Das Zeug gehört dem besoffenen Freak, den die Bullen gerade aus dem Zug geholt haben.« Einer der Jugendlichen gegenüber deutete auf das Notizbuch, das sie gerade öffnete. Dabei schnalzte das Gummiband gegen den Papprücken. »Der Loser hängt ständig hier im Zug herum. Meist ist er völlig stoned, bekommt nichts mit.« »Genau! Der ist vielleicht auf die Fresse gefallen, als wir ihm die Schnürsenkel zusammengebunden haben.« Ein zweiter Jugendlicher, mit einem Schülerticket an einem Band um den Hals, schwelgte lachend in der Erinnerung. Der Zug rollte am Bahnsteig aus. Die Schüler drängten aus dem Zug. Pappbecher und Kartons einer Schnellrestaurantkette blieben auf den Sitzen und auf dem Fußboden zurück. Aus dem viel zu kleinen Abfallbehälter unter dem Fenster drückten sich zusammengeknüllte Folienbeutel unter drohendem Knistern nach oben. Kopfschüttelnd folgte Greta den davonlärmenden Schülern und trat auf den zugigen Bahnsteig. Sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke hoch, betrachtete unschlüssig das Notizbuch und sah sich um: Hier gab es keinen Schalter, wo sie die Fundsache hätte abgeben können. Sie gab sich einen Ruck und schob das Buch samt Ticket in ihre Tasche. »RB84 – Zeitensprung« wird fortgesetzt und zu gegebener Zeit als Taschenbuch/E-Book veröffentlicht. © 2020 Dipl.-Ing. Kurt-Rainer Daubach Publishing |
Vernon Dure Mord auf dem JakobswegEin neuer Höxter-Krimi vom schwarzen Schnüffler mit den weißen SockenDer Jakobsweg zwischen Höxter und Brakel: Eine gefährliche Etappe! Der Jakobsweg: Menschen unterwegs. Manche auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Andere hoffen, sich selbst zu finden. Wieder andere hoffen auf ein Wunder. Ich hoffe auf nix: Ich bin ja schließlich ein Hund! Genauer: Ich bin der Krimi-Eurasier, der Hund für alle Fälle. Eigentlich verläuft der Jakobsweg von Corvey durch Höxter nach Lütmarsen. Für mich beginnt er aber erst richtig beim »Drachentöter« am Westfriedhof. Rein spurentechnisch ist das Stück hinauf zum Heiligenberg für mich wie Netflix für die Smartphone-Junkies von heute: Spannung satt und ohne Unterbrechung! Neulich hat ein fremder Mann Herrchen angesprochen und ihm ein Bild gezeigt: Seine Schwester Sonia sei beim Pilgern auf dem Jakobsweg verschwunden. Jetzt sucht er sie und fragt alle, die ihm begegnen, ob sie Sonia gesehen hätten. Herrchen hat in typisch menschlicher Selbstüberschätzung sofort mit einem nachdrücklichen »Nein« geantwortet, was den armen Mann natürlich enttäuscht hat. Hätte er mich doch nur gefragt: Ich hätte ihm Einiges über seine Schwester sagen können: Ihren Geruch kannte ich schon, er war dem ihres Bruders sehr ähnlich. Ich hatte sie vor geraumer Zeit weiter oben auf dem Weg gerochen. Ungefähr dort, wo mal ein Skelett im Wind klappernd in einem Baum hing1). Spontan entschloss ich mich: Dem Manne muss geholfen werden! Ich werde das Rätsel um die verschwundene Schwester lösen. Damit er mich versteht, habe ich ihn ganz doll angewedelt. |
Leider hat Herrchen wieder unqualifiziert dazwischen gequatscht: »Der scheint Sie irgendwoher zu kennen.« Na klar! Nicht irgendwoher, sondern ganz konkret von diesem Weg. Einige Tage später treffen wir den leidenden Bruder bei Corvey wieder. Wir erfahren, dass er Georg heißt. Herrchen denkt endlich mal mit und fragt ihn, ob er ein paar Kleidungsstücke von ihr für mich mitbringen könnte. Damit ich die Spur von Sonia aufnehmen kann. Als ob ich das nötig hätte: Mit ihrem Bruder Georg habe ich doch das aktuellste Geruchs-Muster, das hund sich vorstellen kann. Als wir weitergehen, höre ich noch, dass Georg von einem anderen Mann angesprochen wird. Das Gespräch zwischen den beiden klingt hitzig. Georg scheint den Mann zu kennen. Hat er etwas mit Sonias Verschwinden zu tun? Das werde ich schon herausfinden. 1) Siehe: »EwigesLeben« Das vierte Krimi-Abenteuer von Garou, dem schwarzen Schnüffler, wird voraussichtlich im November als Taschenbuch und als E-Book veröffentlicht. © 2020 Dipl.-Ing. Kurt-Rainer Daubach Publishing |