Vernon Dure WeihnachtsWunderWasserDie Quelle![]() |
Es war einer der schlechteren Tage: Nach dem Aufwachen hatte er das Gefühl, unterhalb seines Kehlkopfes dränge der Korken einer heftig geschüttelten Champagner-Flasche nach Befreiung. Er versuchte noch, den aufsteigenden Schmerz zu ignorieren, der schließlich explodierte und nadelspitze Pfeile tief in Ludwigs Bauchhöhle jagte. Ein Dutzend Ärzte hatte er bereits aufgesucht. Alle hatten sie ihn nach den Untersuchungen als unheilbar abgeschrieben. Nun hoffte er, sein Leidensweg fände bald ein Ende: Professor Z. war seine letzte Hoffnung, an die er sich verzweifelt klammerte. Die Internet-Seite der Spezialklinik war ihm wie ein Wink des Himmels erschienen. © 2020 Dipl.-Ing. Kurt-Rainer Daubach Publishing |
Vernon Dure Die blaue KatzeLeoLeo putzte sich ausgiebig: Sein Frauchen – sein persönlicher »Kühlschrank- und Dosenöffner«, wie er sie insgeheim nannte – hatte mal wieder seinen Geschmack genau getroffen. Noch am späten Vormittag hatte es so gar nicht nach einem guten Tag ausgesehen: Frauchen schimpfte ständig und schob Leo immer nur zur Seite, wenn er laut miauend seine Kuschelstunden auf ihrem Schoß einforderte. Am Ende hatte er sie sogar am Ärmel gezupft, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Pech: Es klingelte – und Frauchen beachtete ihn wieder nicht. Leo hoffte zunächst, das Paket mit seinem Lieblingsfutter sei gekommen. Doch Frauchen hatte nur eine blauen Dose und eine geöffnete Schachtel in den Händen. Das konnte ja nichts Tolles für ihn sein: Die Dose war viel zu klein! Frauchen setzte sich auf das Ecksofa und öffnete behutsam die blaue Dose. |
![]() Dabei summte sie leise eine Melodie. Leo hingegen brummelte unzufrieden vor sich hin: Wenn Frauchen sich so verhielt, verlief der Tag immer ganz anders als ein »normaler« Tag. Er zog sich vorsorglich unter das Sofa zurück und lugte nur hinter einem Fuß hervor, wo er sie gut im Blick hatte. © 2020 Dipl.-Ing. Kurt-Rainer Daubach Publishing |
Vernon Dure Der Handleiher![]() Aus dem Leben des Johannes NesselNäher, mein Gott, zu DirSeine Hände glitten sanft über die dünne Decke hinauf zu seiner schmerzenden Brust. Doch er spürt schon seit einigen Tagen nicht mehr das beruhigende Pulsieren in seinen Händen, das ihn sein ganzes Leben begleitete. »Hat sich der Allmächtige nun endlich entschlossen, mich zu sich zu rufen.» Johannes stellte es ohne Bedauern fest. So war es immer, so würde es ewig bleiben: |
Der Schmerz atmete tief, um sich für den nächsten, vielleicht den letzten, Angriff zu rüsten. Johannes entspannte sich und sank in einen unruhigen Schlaf. Der RufDer Junge schreckte auf: Jemand hatte ihn gerufen. Sitzend lauschte er in die Dunkelheit. Der Morgen war noch fern. Leichtfüßig schlüpfte er die Stiege hinunter und horchte erneut in die kalte Nacht. Nichts! Er wandte sich bereits wieder der Stiege zu, als ein Flüstern in seine Ohren drang. Wie aus großer Ferne wehte eine sanfte Stimme heran. Der Junge erspürte eine ungeheure Kraft unter dem Flüstern: »Johannes! Spute Dich! Deine Schwester bedarf Deiner Hilfe. Spüre Deine Hände und hilf ihr!« Er stand einen Moment verwirrt und unschlüssig auf der großen Tenne. Woher kam die Stimme? Kein Schatten, kein Atmen, keine Bewegung verriet die Anwesenheit eines anderen Menschen. Johannes zog ängstlich die Schultern hoch. Neuerdings hörte er häufiger eine fremde Stimme, die ihm dies oder das auftrug. Manchmal waren es Dinge, die für einen Fünfjährigen ganz schön schwer waren. Doch meist war es einfach: Er sollte nur seine Hände spüren, wenn es jemandem schlecht ging. © 2020 Dipl.-Ing. Kurt-Rainer Daubach Publishing |
Vernon Dure Schwarze KunstEin Kurzroman in TweetsDer KartonBesuch im Gutenberg-Museum in Mainz: Ehrfürchtig betrachte ich Exponate, die die Entwicklung der »schwarzen Kunst« widerspiegeln. Wie viel handwerkliches Geschick sich in diesen oft skurrilen Apparaten offenbart! Gleichzeitig strahlen die Gerätschaften eine eigenartige Ästhetik aus. Ich drucke eigenhändig eine Seite der berühmten Gutenberg-Bibel: Schwerstarbeit an der Handpresse. Erfreue mich an der würdigen Ausstrahlung des Druckbogens. Es ist Mittagszeit. Wie auf ein geheimes Kommando drängen die Besucher zum Ausgang. Eben noch von Lärm erfüllte Gänge atmen nun köstliche Stille. Ungestört schlendere ich durch die weitläufige Ausstellung. Verharre ab und an für Augenblicke des Staunens. Ein Räuspern schreckt mich aus meinen Gedanken. Ein Herr, altmodisch gekleidet, steht im Durchgang zwischen zwei Sälen und beobachtet mich. Von den Mundwinkeln kriecht ein schiefes Lächeln über sein Gesicht. |
![]() »Sie interessieren sich für die Kunst des Druckens?« Italienischer Akzent? Sein Gesicht bietet meinem Blick keinen Halt: nicht Mann, nicht Frau. Etwas dazwischen. Ein Zwitter-Gesicht auf einem Hals, der wie die Stange eines Kleiderständers aus einem unmodernen Anzug mit Weste ragt. »Wieso fragen Sie?«, reagiere ich überrascht, denn ich halte ihn für eine Aufsicht des Museums. Er streckt mir wortlos einen abgeschabten Karton entgegen. Die Deckelseiten sind nach innen gefaltet. »Schwarze Kunst« wird fortgesetzt und zu gegebener Zeit als Taschenbuch/E-Book veröffentlicht. © 2020 Dipl.-Ing. Kurt-Rainer Daubach Publishing |
Vernon Dure ![]() Der blaue SchirmErste BegegnungDer Tag war wie geschaffen für eine Depression. Ich hatte mich vor den Fluten des Himmels unter den Balkon über der Freitreppe des Rathauses geflüchtet. Trotzdem war ich nass bis auf die Haut. Der dünne Pullover über dem T-Shirt schien sich zu einem Eispanzer um meine Brust zusammen zu ziehen. Bibbernd beobachtete ich den schwarzen Strom, der sich mir entgegenwälzte: Regenschirme in allen Nuancen von Schwarz und Grau, der sich vor mir am Fuß der Treppe teilte. Nur einige unentschlossene Schirme kreiselten vor der Treppe herum, ohne sich für eine Richtung entscheiden zu können. |
Von meinem erhöhten Standpunkt aus wirkten die Schirme herrenlos: Unter dem schubsenden, schiebenden, schwarzen Gewusel blieben die Träger unsichtbar. Mir drängte sich der Eindruck eines hungrigen Mischwesens aus Kellerassel und Tausendfüßler auf. »Du solltest nicht Biologie studieren, sondern Science-Fiction-Romane schreiben«, hörte ich im Geiste meinen Mitbewohner im Studentenheim dozieren. Während ich gewohnheitsmäßig Block und Stift aus dem Rucksack zog, um meinen ›Kellerassel-Tausendfüßler‹ zu skizzieren, nahm ich eine irritierende Störung am Rande meines Gesichtsfeldes wahr. Mit zusammengekniffenen Augen hob ich den Blick. Die Schwarzfront war gestört: Ein blauer Schirm tänzelte eilig durch die Menge. Fast schien es, als wichen die schwarzen Schirme vor der intensiven Farbe zurück. Fasziniert verfolgte ich den Weg des leuchtenden blauen Flecks auf mich zu. Zielsicher steuerte der Schirm auf die Treppe zu, wich elegant den zögerlichen Kandidaten aus, die am Treppenfuß umherirrten. Stieg dann wie eine blaue Venus aus schwarzem Wasser die Treppe herauf. Mit offenem Mund starrte ich das grazile Mädchen an, das gerade den Knauf des Schirmes in die andere Hand wechselte. Dabei schüttelte sie ihren Kopf, dass ihre hüftlangen Haare sie umflossen wie eine nussbraune Stola. © 2020 Dipl.-Ing. Kurt-Rainer Daubach Publishing |